Von Stefan Pabst
Autonome Fahrzeuge wird man nicht besitzen, sondern nach Bedarf mieten. Ihr Äusseres rückt deshalb in den Hintergrund. Das betrifft nicht nur den Menschen, der heute das eigene Fahrzeug als Symbol seiner Persönlichkeit einsetzt. Auch die Hersteller müssen sich an vollkommen neue Kunden gewöhnen, sagt Gerald Huff, leitender Softwareingenieur im Silicon Valley.
Wie wird Ihrer Meinung nach der Verkehr in New York City in 25 Jahren aussehen?
Zu diesem Zeitpunkt werden wir vollkommen in der Ära von selbstfahrenden Autos angekommen sein. Alle Verkehrsteilnehmer werden Mobilität als Dienstleistung in Anspruch nehmen. Über ein digitales Endgerät werden wir angeben, wo wir sind, wohin wir fahren möchten und zu welchem Zweck. Entsprechend wird uns ein passendes Fahrzeug abholen. Aber auch Services wie Carpooling und Carsharing werden stark verbreitet sein. Diese Dienstleistungen werden dabei helfen, die Verkehrsdichte zu reduzieren, die aktuell das grösste Problem für den städtischen Verkehr darstellt. Wie diese neuen Möglichkeiten mit Angeboten des öffentlichen Verkehrs interagieren werden, ist allerdings noch völlig unklar.
Wie werden sich diese Entwicklungen auf ländliche Gebiete auswirken? Werden sie durch selbstfahrende Fahrzeuge wieder attraktiver, weil man die Zeit des Pendelns besser nutzen kann?
Ich denke, das ist tatsächlich ein mögliches Szenario. Eine grosse Herausforderung beim Pendeln ist das Handling der Peak-Zeiten. Wenn dieser Flaschenhals effizient gelöst werden kann, werden auch Regionen ausserhalb von Städten wieder attraktiver. Die Zukunft des Pendelns illustriert eine gerne vergessene Folge der Einführung autonomer Fahrzeuge: Wenn Pendeln einfacher und vor allem günstiger wird, werden wir paradoxerweise noch mehr unterwegs sein. Die Verkehrsdichte kann entsprechend nur abnehmen, wenn wir neue Automobile entwickeln, mit denen mehrere Personen transportiert werden können, ohne dass die Insassen auf ihre Privatsphäre verzichten müssen. Es gilt die Vorzüge des Carpooling und von selbstfahrenden Autos zu verknüpfen. Denn wenn die Menschen weiterhin alleine in ihrem Fahrzeug sitzen möchten, wird sich die Verkehrsbelastung auch mit selbstfahrenden Autos nicht reduzieren.
Werden unsere Arbeitsmodelle durch die Digitalisiserung nicht immer flexibler und klassische «9 to 5 Jobs» laufend weniger, was automatisch das Verkehrsaufkommen besser verteilt?
Diese Effekte werden tatsächlich langsam spürbar und der Markt wird sie verstärken. Der Fahrdienstleister Uber nutzt bereits heute das sogenannte «Search Pricing», wobei die Nachfrage den Preis einer Fahrt bestimmt. Fahrten abseits der Stosszeiten werden somit attraktiver. Das wiederum wird die Veränderungen innerhalb der Arbeitswelt beschleunigen.
Die Virtualisierung wird bald so weit fortgeschritten sein, dass Remote-Arbeit sich nicht mehr remote anfühlen wird. Mit einer Augmented-Reality-Brille werden Arbeitskollegen buchstäblich bei Ihnen sein. Warum sollten wir uns dann noch fortbewegen? Bewegung wandelt sich von einer Notwendigkeit zu einer Option.
Wann werden wir uns dann noch fortbewegen? Vielleicht wenn wir fremde Orte bereisen möchten?
Auch die Reisebranche wird sich durch die Digitalisierung stark verändern. Und natürlich wird es auch hier Menschen geben, die bedauern, dass virtuelles Reisen nicht die wirkliche Erfahrung ersetzen kann. Aber viele Menschen werden sich weite Reisen auch in der Zukunft schlicht nicht leisten können. Nicht nur Besuche in Metropolen werden laufend kostspieliger und deshalb werden virtuelle Reisen für Millionen von Menschen zu einer echten Option. Daraus ergeben sich verschiedene neue Geschäftsfelder. Man denke nur an die Möglichkeiten, als virtueller Tourist Städte wie Paris zu besuchen. Richtig spannend wird das Konzept, wenn diese virtuellen Touristen einen echten Roboter vor Ort steuern, der sich an ihrer Stelle durch Paris bewegt und alle Sinneseindrücke live an sie überträgt.
Was passiert mit der Autoindustrie, wenn Autofahren keine Notwendigkeit mehr sein wird?
Der private Besitz von Fahrzeugen wird rapide abnehmen. Der Markt wird sich in Richtung von Flottenangeboten selbstfahrender Autos entwickeln. Dadurch verändern sich die Kunden von Automobilherstellern. Nicht mehr Einzelpersonen werden die Kunden sein, sondern Unternehmen, die diese Flotten managen.
Die Auffassung davon, was an einem Auto wichtig ist, wird sich ebenfalls verändern. Es wird auch in Zukunft noch Marken mit einem gewissen Statusversprechen geben. Wie sich diese Nischen im Kontext selbstfahrender Autos entwickeln, ist jedoch noch unklar. Denn die Loyalität von Kunden zu Fahrzeugherstellern wird deutlich sinken, weil man theoretisch jeden Tag ein anderes Fahrzeug buchen kann. Angepasst auf den Einsatz werden wir wählen: ein luxuriöses Fahrzeug, wenn es zu einem Geschäftstermin geht, ein sportliches, wenn wir am Abend ausgehen möchten. Auf dem Hinweg zum Einkaufen werden wir vielleicht das kleinste und effizienteste Fahrzeug von allen mieten und auf dem Rückweg eins mit Platz für die Einkäufe – die Marke rückt in den Hintergrund. Der Wettbewerb wird dann über das Gesamtangebot und die Zuverlässigkeit einer Flotte gehen.
Welche Rolle wird das Fahrzeugdesign spielen?
Auch in diesem Fall glaube ich, dass es schlicht weniger wichtig wird. Wenn ich mich lediglich hineinsetze und vom Punkt A nach B bringen lasse, spielt das Aussehen des Fahrzeugs eine geringere Rolle, als wenn ich lange dafür gearbeitet habe, um es endlich zu besitzen und um damit etwas sehr Persönliches zum Ausdruck zu bringen. Selbstfahrende Autos werden nichts über mich aussagen. Es ist wie ein Taxi. Es muss funktionieren und sauber sein.
Nehmen wir nochmal das Beispiel eines wichtigen Geschäftstermins, zu dem man mit dem Auto fährt. Wenn ich dort Eindruck hinterlassen möchte, lasse ich mich vielleicht von einer Luxusmarke abholen. Allerdings werden die anderen wissen, dass mir das Auto nicht gehört. Welchen Status bringe ich damit zum Ausdruck? Offensichtlich habe ich mehr für die Fahrt bezahlt, aber genügt das? Wenn ich heute einen Luxuswagen besitze, habe ich ihn mir wirklich geleistet, selbst gekauft, bin selbst hierhergefahren und nun treffen wir uns. Damit entstehen ein sozialer Kontext und eine Kommunikation
über mich als Person. Wenn ich in 20 Jahren mit diesem Auto komme, habe ich das auf meinem Telefon entschieden. Vielleicht werden wir damit ähnliche Signale wie heute senden, ich bezweifle es aber stark.
Wie beurteilen Sie die Diskussion um ethische Entscheidungen von selbstfahrenden Autos in Unfallsituationen?
Das Ziel der Entwickler von heute ist, jegliche Form von Unfällen zu vermeiden und damit auch ethische Dilemmas. Bereits heute ist die Forschung sehr gut darin und sie wird laufend besser. Gedankenspiele wie das Trolleyproblem spielen für die Entwicklung keine Rolle. Persönlich glaube ich nicht, dass wir dabei von realistischen Problemen sprechen. Autos sind nicht in der Lage zu erkennen, wie viele Kinder sich in einem Schulbus befinden und wie alt der Fahrer des anderen Wagens ist. Wenn aber alle Fahrzeuge digital miteinander verbunden wären, könnten sie tatsächlich diese Informationen austauschen. Allerdings würden dann die Gefahrensituationen, in denen ethische Entscheidungen getroffen werden müssen, nicht auftreten, weil die Kommunikation der Fahrzeuge untereinander einen Crash verhindert. Ich glaube nicht, dass selbstfahrende Autos jemals echte ethische Entscheidungen treffen werden. Alle ihre Entscheidungen werden auf physikalischen Grundlagen basieren.
Gerald Huff ist leitender Softwareingenieur bei einem der führenden Automobilhersteller im Silicon Valley. Zuvor war er Direktor der Technology Innovation Group bei Intuit. In seinen Vorträgen diskutiert er insbesondere das Thema Arbeitslosigkeit als Folge von Automatisierung und Digitalisierung.