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Wir werden die Erde nie verlassen. Gespräch mit Kim Stanley Robinson

Von Mikael Krogerus

 

Die Zukunft der Mobilität geht weit über den Planeten Erde hinaus. Schon heute überbieten sich Organisationen, wie die niederländische Stiftung Mars One, mit Terminen für die ersten Siedlungen auf dem Mars. Über Sinn und Unsinn dieser Pläne spricht der Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson und erklärt, weshalb das Nachdenken über eine Marsbesiedelung vollkommen ausreicht, damit die Erde davon profitiert.

Sie haben vor 30 Jahren die weltweit populäre «Mars Trilogy» geschrieben, eine Science-Fiction-Reihe über die Besiedelung des Mars. Was würden Sie heute sagen: Ist die Reise zum Mars schon Science oder noch Fiction?

Das kommt darauf an, von welchem Zeithorizont wir hier sprechen. Theoretisch ist es denkbar, dass wir in den nächsten 100 Jahren ein bemanntes Raumschiff zum Mars schicken werden, praktisch jedoch ist es unmöglich. An erster Stelle scheitert es an den Kosten: Eine Marsbesiedelung würde rund 500 Milliarden Dollar kosten. Die nächste Hürde ist die Anreise. Derzeit rechnet man mit neun Monaten. Neun Monate ohne Schwerkraft haben verheerende Auswirkungen auf unseren Körper. Muskeln und Skelett bauen sich aufgrund der fehlenden Belastung ab.

Wer als 40-Jähriger in das Raumschiff steigt, landet neun Monate später als körperlicher Greis auf dem Mars?

Diesem Prozess könnte man mit intensivem Training entgegenwirken, wie es Raumfahrer heute bereits praktizieren, die täglich vier Stunden auf einem Ergometer sitzen. Aber wir wissen inzwischen, dass auch chemische Prozesse ablaufen, die unser Herz schädigen. Die Lösung wäre also die alte SciFi-Idee einer durch Rotation erzeugten künstlichen Schwerkraft, aber soweit sind wir noch nicht.

Nur mal angenommen man käme gesund zum Mars, was erwartet uns dort?

Es ist kalt, zwischen -30 und -120 Grad Celsius. Es gibt keine Atmosphäre, keine Erdanziehung und auch kein globales Magnetfeld, sondern nur schwache lokale magnetische Felder, die kaum Schutz vor kosmischer Strahlung bieten. Der Boden ist vergiftet durch Perchlorat-Salz, ein hochaktiver Stoff, der dem Menschen erhebliche Schäden zufügt. Kurz: Es ist ein lebensfeindlicher Ort. Sollten sich Menschen je dort ansiedeln, müsste man die Marskolonien metertief unter der Erde bauen. Trotzdem ist der Mars der beste Kandidat für eine Besiedelung. Es gibt viel Wasser – das allerdings gefroren ist –, es gibt Kohlendioxid – ebenfalls in gefrorener Form – und es gibt Sonnenlicht. Das sind drei wichtige Zutaten für Leben! Was es allerdings nicht gibt, soweit wir wissen, ist das Leben selbst, zum Beispiel in Form von Bakterien. Dort kommen wir Menschen ins Spiel.

Das Schlüsselwort ist das sogenannte Terraforming. Was verbirgt sich hinter dem Begriff?

Das Wort stammt aus der Science-Fiction-Literatur und beschreibt den Versuch, eine «Erde zu erschaffen». Für den Mars erfordert das einen hochkomplexen industriellen Prozess: Da ist zunächst die Sache mit dem giftigen Boden, man müsste die gesamte Marsoberfläche mit einer Mischung aus Sand und Bakterien übersäen, damit die hochgiftigen Salze aufgegessen und transformiert werden. Dann müssten wir etwas herstellen, was man auf der Erde verhindern möchte: einen künstlichen Treibhauseffekt, der das gefrorene CO2 freisetzt und zu einer Klimaerwärmung führt. Nur so könnten Pflanzen wachsen, die wiederum durch Fotosynthese Sauerstoff produzieren. Dabei haben wir aber noch nicht das Problem gelöst, dass Pflanzen Stickstoff zum Leben brauchen, der aber auf dem Mars kaum vorhanden ist. Sie sehen, Terraforming ist theoretisch denkbar, aber praktisch fast unmöglich durchzuführen.

Vielleicht müssten wir ja gar nicht hinreisen. Adam Steltzner von der NASA spricht von einer Art 3-D-Druck, bei dem wir zunächst Bakterien aussetzen und später, wenn die Verhältnisse lebensfreundlicher sind, menschliche DNA vor Ort «drucken».

Ich kenne und schätze Adam Steltzner, aber die Idee, menschliche DNA ins All zu schicken, halte ich für einen verrückten Vorschlag. Interessant ist hingegen die Idee der Ecopoiesis. Wir würden Bakterien ansiedeln und dann der Evolution den Rest der Arbeit überlassen. Theoretisch könnte sich die Pflanzendecke soweit vermehren, bis die CO2-Atmosphäre weitgehend in Biomasse verwandelt ist. Bis das allerdings Realität ist, dürften über 100 000 Jahre vergehen.

Denken wir das Gedankenexperiment zu Ende: Menschen können – unter welchen Umständen auch immer – in Kolonien auf dem Mars leben, sich ernähren, sich vermehren. Diese Menschen wären dann einer völlig anderen Art von Evolution ausgesetzt. Wären das überhaupt noch Menschen oder bereits Marsmenschen?

Ich denke, Marsmenschen wären so etwas wie Supertibetaner. Tibetaner haben innerhalb kürzester Zeit eine erstaunliche Evolution durchlaufen, die es ihnen erlaubt, die Blutzellen intensiver mit Sauerstoff zu versorgen. Das Leben auf dem Mars entspräche vielleicht dem Leben in 30 000 Kilometern Höhe, vermutlich würden sich Menschen evolutionär anpassen, sie wären leistungsfähiger, aber vielleicht auch anfälliger für bestimmte Krankheiten.

Biologisch wären sie Menschen, aber wären sie es auch kulturell? Wie sähe eine Werteordnung aus, wenn sich die Menschen 400 Millionen Kilometer von der Erde entfernt haben? Hätten die Menschenrechte dort oben Gültigkeit?

Wir können den Mars immer nur als Spiegel der Welt denken. Der Mars wird vielleicht in 1000 Jahren kolonisiert werden, in einer Zeit also, in der das meiste, an das wir heute glauben – Kapitalismus etwa oder Demokratie –, hier bei uns auf der Erde nicht mehr funktionieren wird. Wenn ich in meinen Büchern die Marsbesiedelung beschreibe, dann denke ich nicht an einen fernen Planeten, sondern nutze die Idee des Mars als Metapher für eine andere Erde. Wie würden wir leben? Wie würden wir uns organisieren? Gibt es Alternativen? Weil das in unserer Welt immer schwerer zu denken ist, extrapoliere ich die Frage ins All: Wie würden wir uns zum Beispiel auf dem Mars organisieren? Nun, ich gehe davon aus, dass wir auf dem Mars versuchen würden, ein alternatives Wirtschaftssystem zu entwickeln. Denn unser Treiber hier auf der Erde ist zugleich unser Totengräber: der Kapitalismus. Wir zerstören mit unserer Wachstumslogik unsere Ressourcen. Wir bräuchten also ein Wirtschaftssystem, das alle Menschen teilhaben lässt und das die natürlichen Ressourcen schont. Und wenn Sie das Wirtschaftssystem ändern, müssten Sie auch das Bildungssystem verändern. Und wenn Sie die Schulen verändern, dann verändern Sie automatisch auch die Werte und Normen einer Gesellschaft. Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, Marsmenschen wären noch immer Menschen. Sie hätten die gleichen Bedürfnisse, Ängste und Hoffnungen – das ist tief in unserer DNA verankert –, aber sie würden in einer völlig anderen Kultur leben und deshalb auch andere Werte und Grundrechte haben.

Ihre Antwort auf die gegenwärtigen Krisen ist nicht das antifortschrittliche De-Growth, das viele Linke propagieren, sondern ein fortschrittsgläubiger Marxismus.

Richtig, wir können die Geschichte nicht zurückdrehen. Wir müssen die technologischen Möglichkeiten, die wir heute haben, nutzen, um unsere Welt zu retten. Übersetzt könnte man sagen: Wir müssen nicht einen neuen Planeten terraformen, sondern «Marskolonien» auf der Welt gründen. Inseln, die eine soziale, von Krisen unabhängige Grundversorgung bieten.

Wer hätte eigentlich das Recht, den Mars zu besiedeln?

Das All gehört niemandem und allen. Der Weltraumvertrag – also der Vertrag über die Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums, den alle UNO-Staaten unterschrieben haben – sieht vor, dass das Weltall und damit auch alle Himmelskörper etwas Gemeinschaftliches sind. So wie auch die Weltmeere als «gemeinsames Erbe der Menschheit» gelten.

Die Fischindustrie ignoriert solche Verträge und betrachtet internationale Gewässer als rechtsfreien Raum. Könnte im All Ähnliches passieren? Anders gefragt: Haben wir das Recht dazu, den Mars für uns zu beanspruchen, nur weil er vermeintlich unbewohnt ist?

Der Weltraumvertrag ist sehr vage formuliert und kennt auch keinen Gesetzesvollzug. Aber ich denke nicht, dass es einen Kampf um den Mars geben wird, denn Sie dürfen eines nicht vergessen: Er hat keinerlei Ressourcen, die auf der Erde von Wert sind. Er bietet keinen wirtschaftlichen Nutzen. Dadurch ist er vor Raubbau geschützt.

Fassen wir zusammen: Eine Marsbesiedelung ist weder einfach noch profitabel. Und trotzdem gibt es sowohl staatliche als auch private Vorhaben und wir beobachten ein wachsendes öffentliches Interesse an der Thematik. Woher kommt unsere Faszination für diesen Planeten?

Ich glaube, dafür gibt es zwei sehr unterschiedliche Gründe. Erstens die Machbarkeit: Was wir Schriftsteller vor 30 Jahren bloss imaginiert haben, ist heute technologisch teilweise möglich. Der Mars ist noch immer weit entfernt, aber er ist technologisch näher herangerückt. Der zweite Grund für die neue Marsbegeisterung ist purer Eskapismus: Wir haben die Erde derart zugrunde gewirtschaftet, dass viele das Gefühl haben, auf einem neuen Planeten nach einer neuen Chance zu suchen. Ich halte die erste Motivation für richtig und rechtens, die zweite für einen Denkfehler. Wir werden die Erde nie verlassen können. Wir sind ein Produkt dieser Erde. Wir müssen sie retten. Denn die Krise auf der Erde ist akut, sie muss in den nächsten 100 Jahren gelöst werden, es wird aber 1000 Jahre dauern, bis wir den Mars besiedeln können.
Ich verstehe also meine Science-Fiction-Romane nicht als Space-Szenarien, sondern als Gedankenexperimente, die uns helfen könnten, eine bessere Welt hier bei uns zu erschaffen.

Wie werden spätere Generationen auf unsere Idee zurückblicken, den Mars kolonisieren zu wollen?

Sie werden sie für eine sinnlose, naive Idee halten. Aber Menschen interessieren sich selten für sinnvolle Ideen und oft für die technologisch extremste Möglichkeit, und die ist zurzeit: die Reise zum Mars.

 

Kim Stanley Robinson ist ein US-amerikanischer Science-Fiction- Autor. Berühmt wurde er durch seine preisgekrönte Marstrilogie («Roter Mars» 1997, «Grüner Mars» 1997, «Blauer Mars» 1999), die aus 15 Jahren Recherchearbeit und Robinsons lebenslanger Faszination für den roten Planeten hervorging. In seiner Buchreihe setzt sich Robinson auf hohem wissenschaftlichem Niveau und in akribischer Detailtreue mit den technischen Möglichkeiten und den sozialen Folgen einer menschlichen Kolonisation des Mars auseinander. Vor seiner Arbeit als Schriftsteller war Robinson Dozent für Literatur und Anglistik an diversen amerikanischen Universitäten. Er lebt mit seiner Frau und den beiden Söhnen in Davis (Kalifornien).

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