Weniger ist mehr, darüber sind sich heute die meisten einig. Komplizierte Alltagsgeräte, schier unendliche Möglichkeiten der Selbstfindung und der Datenberg im Internet führen zu permanenter Überforderung. Doch wie entscheiden wir, was es braucht und was nicht? Wer wüsste das besser als John Maeda, der Autor von «Simplicity. Die zehn Gesetze der Einfachheit». Der Präsident der Rhode Island School of Design spricht über die Notwendigkeit einer Balance zwischen Einfachheit und Komplexität, «Less-Tech» und den Wert guter Mentoren.
Von Simone Achermann
Sie argumentieren in Ihrem Buch «Simplicity» für die Reduktion von Komplexität, ob im Berufs- oder Privatleben. Doch wie entscheiden wir, was wichtig ist und was nicht?
Einfachheit und Komplexität bedingen einander als notwendige Kontrahenten. Obwohl die Vorstellung, die Erde ganz von Komplexität zu befreien wie der kürzeste Weg zu universeller Einfachheit erscheint, ist dieser nicht erstrebenswert. Denn ohne den Kontrapunkt der Komplexität würden wir die Einfachheit gar nicht erfassen. Der Schlüssel für ein ausgewogenes Gleichgewicht wird in «Simplicity» in Gesetz 10 «Das Eine» erklärt: «Einfachheit entsteht durch das Weglassen des Offensichtlichen und durch das Hinzufügen des Bedeutungsvollen.» Wir wollen vereinfachen ohne zu vereinfachend zu werden; das Leben komfortabler gestalten, aber dabei ein Gleichgewicht zwischen Einfachheit und Komplexität beibehalten.
Vereinfacht die Technologisierung des Alltags unser Leben, oder sollten wir auf Hilfsmittel wie iPads und TomToms verzichten?
Ich plädiere weder für «High-Tech» noch für «Low-Tech», sondern nur für «Less-Tech». Die Gesellschaft will zurück zur Integrität des Handwerks und zur menschlichen Urheberschaft. Im 21. Jahrhundert wird es deswegen eine Renaissance der kunst- und designorientieren Ansätze für die Herstellung von Gegenständen geben. Im Bestreben, neue Technik um der Technik willen zu entwickeln, bleiben Kunst und Design oft auf der Strecke. Wirtschaftsführer werden sich in Zukunft darüber mehr Gedanken machen müssen – um die Dinge herzustellen, die die Menschen tatsächlich wollen. Es ist interessant, dass Sie iPads und Tom-Toms erwähnen, zwei wirklich gut gestaltete Geräte. Es braucht Design wie dieses, um dem ganzen technischen Wandel, der uns umgibt, einen Sinn zu geben. Kunst und Design sind dazu da, die Möglichkeiten, welche uns die Technik heutzutage bietet, sinnvoll umzusetzen. Lehrer, Gesetzgeber, Zukunftsforscher und Sozialwissenschaftler hören nicht auf, Naturwissenschaften, Mathematik, Ingenieurwesen und Technologie als Wunderwaffen des Fortschritts zu ehren. Doch die Erkenntnis wird sich durchsetzen, dass wirkliche Innovation aus Kunst und Design kommt.
Eines Ihrer Gesetze der Einfachheit ist Wissen. Welches Wissen ist in Zeiten des Internet noch wichtig?
Wissen und Erkenntnisse, die durch eine echte menschliche Beziehung weitergegeben werden. Was vom Internet nicht ersetzt werden kann, ist der Wert eines guten Mentors. Ich habe die verstorbene, brillante Muriel Cooper am Media Lab kennengelernt, die Frau, die der Welt gezeigt hat, wie man den Computer wieder schön macht. Sie war für mein Leben sehr wichtig, denn sie empfahl mir, das MIT zu verlassen und an eine Kunstschule zu gehen, der beste Ratschlag, den ich je bekommen habe. Auf der Kunstakademie in Japan traf ich die legendären Designer Paul Rand und Ikko Tanaka – Mentoren, die mir bewiesen, dass man in einer Gesellschaft erfolgreich sein und gleichzeitig seine Phantasien leben kann. Beide verdienten ihren Lebensunterhalt und verwirklichten gleichzeitig ihr Potenzial mit ihrem Erfindergeist. Es war das Gleichwicht zwischen den beiden Polen, welches sie von ihren Kollegen unterschied: Sie schufen Werke, die aussergewöhnlich waren und dennoch von der Gesellschaft als relevant eingestuft wurden.
Welche Fähigkeiten sind Ihrer Meinung nach besonders wichtig, um im 21. Jahrhundert erfolgreich zu sein?
Kritisches Denken und Machen. Als Präsident der Rhode Island School of Design (RISD) habe ich beobachtet, dass es hier vor allem um die Integrität der Arbeit geht; vom Anfang bis zum Ende. Die RISD gehört zu den wenigen Orten, wo das Handwerk noch genauso viel wie das Denken zählt, wo sich die Studenten nicht scheuen, die Hände schmutzig zu machen und etwas Echtes und Menschliches zu schaffen. Sie werden die Kreativität und Innovation im 21. Jahrhundert prägen. Und dies wird bedeuten, dass man anfängt, sich Zeit zu lassen. Dass man den Prozess genauso wie das Endergebnis würdigt.
Verlangt ein sich rasch veränderndes Umfeld nicht auch nach neuen Fähigkeiten?
Neue Fähigkeiten schaden nie. Aber wie gesagt, dreht sich im Grunde alles um kritisches Denken und Machen. Es sind die zeitlosen Grundelemente der Innovation. Mit ihnen kann man jedes Problem lösen und jedes Ziel erreichen.
John Maeda ist ein weltweit gefragter Grafikdesigner und Medienkünstler und zählt zu den führenden Experten auf dem Gebiet der Einfachheit in der Informationstechnologie. Er war Professor für Medienkunst und Medienwissenschaften sowie für Design und Informatik am Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Zurzeit ist Maeda Präsident der Rhode Island School of Design, einer der renommiertesten Kunsthochschulen in den USA. Seine Arbeit ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, darunter der National Design Award der USA und der Mainichi Design Prize aus Japan. Sein Buch «Simplicity. Die zehn Gesetze der Einfachheit» (2006) ist eines der meistgelesenen Bücher zum Thema Einfachheit.