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Wie Sinn und Profit zusammengehören. Von Bethany Koby

Der Wettbewerb nimmt weltweit zu, während die Rezession endlos scheint. Staatliche Bestimmungen werden mit zunehmender Verknappung natürlicher Rohstoffe restriktiver. Soziale Netzwerke verbinden Millionen von Menschen, doch fast gleich viele leben in Armut und abgeschnitten vom technologischen Fortschritt. Welche Freiheit können Unternehmen in dieser komplexen Umgebung finden, um sich abzuheben? Image und Kommunikation allein reichen nicht mehr. Einige erfolgreiche Marken verändern die Grundlagen ihrer Arbeit, um ihre Branchen neu zu erfinden. Sie suchen nach dem wahren Zweck ihrer Tätigkeit – und schaffen dabei unverwechselbare Geschäftsmodelle.

 

Vor Kurzem trafen sich 400 führende soziale Unternehmer und kreative Köpfe, um im Rahmen der Feast-Konferenz in New York City die Zukunft einzelner Branchen zu diskutieren. Während der zweitägigen Veranstaltung kam vieles zur Sprache: von der kompletten Neuerfindung der politischen Administration durch versuchsweise verwaltete Gemeinschaften, die auf dem Meer treiben, bis zur Renaissance von Unternehmen, die sich mit Tauschgeschäften befassen. Offensichtlich schufen die Menschen und Firmen auf dieser Veranstaltung eine Art Freiheit für ihre Unternehmungen; Platz zum Spielen, Forschen, Experimentieren – alles im Namen einer guten Sache. Auf unterhaltsame Weise suchten sie nach neuen Unternehmenszwecken und Gewinnmöglichkeiten, während einige der wichtigsten Weltprobleme von Ernährung bis zur Erziehungsreform erörtert wurden.

 

Die meisten Marken des 20. Jahrhunderts basierten auf einem stabilen Image, kluger Kommunikation, endlosem Wachstum und einem nicht zu stillenden Hunger nach Gewinn und Grösse. Diese Verhaltensweisen sind in der Geschäftswelt nach wie vor anzutreffen. Es gibt aber auch eine Reihe von Marken, die den Status quo herausfordern und für eine neue Ära stehen. Sie erfinden ihre Branchen und unser Verständnis des Zwecks eines Unternehmens neu. Einige dieser transformativen Marken sind gross, andere klein. Allen gemeinsam ist, dass sie am Schnittpunkt zwischen Kreativität und Effekt stehen und dass ihnen die Menschheit und die Erde genauso wichtig sind wie der Gewinn.

 

Nachfolgend einige Beobachtungen zu den Eigenschaften dieser Unternehmen, welche diverse Bereiche von der Arbeitsweise bis zu den Beziehungen mit ihren Mitarbeitern und Kunden frei gestalten.

1. Es sind Unternehmen einer neuen Kategorie. Mit Kreativität und Marktanalyse ermitteln sie echte Bedürfnisse und schaffen einfallsreiche und anregende Produkte und Dienstleistungen. Sie spielen normalerweise nicht Katz und Maus mit Preis- und Produktvariationen, sondern wollen ihre jeweilige Branche voranbringen.

2. Sie ermöglichen ihren Kunden relevante Erfahrungen und somit der Welt echten Fortschritt. Neuerungen nehmen sie nur mit Blick auf ihren Bestimmungszweck vor, der Menschen, Erde und Gewinn einschliesst.

3. Sie haben einmalige Geschäftsmodelle. Diese helfen ihnen, im Werteaustausch mit ihren Kunden ihren Zweck zu definieren, wobei Zeit, Inhalt, Beteiligung und «Community » in diesen Unternehmen gleichermassen wertvoll und messbar sind.

4. Sie schätzen Transparenz und Offenheit.

5. Sie schätzen ihre Mitarbeiter und achten darauf, eine optimale Arbeitsumgebung zu schaffen. Dies führt zu enormen freiwilligen Leistungen bis hin zur vollständigen Identifikation mit der Firmenphilosophie. Ihre Mitarbeiter gehen gerne zur Arbeit.

6. Sie werden von den Leuten geliebt. Emotionale Reaktionen auf ihre Produkte und Dienstleistungen sind nicht unüblich.

7. Zusammenarbeit und gemeinsame Nutzung von Knowhow sind gängige Praxis, auch innerhalb derselben Branchen.

8. Sie nutzen Technik intelligent, um ihr Geschäft voranzubringen, nicht nur als reine PR- und Werbeübung.

9. Design ist wichtig, vom Logo über die Internetseite bis zur Anwendererfahrung. Es ist ein grundlegender Teil der Funktionsweise dieser Unternehmen und nicht nur ihrer äusseren Erscheinung.

 

Folgende Marken – um nur einige zu nennen – zeichnen sich durch Freiheit und Zweckgebundenheit aus: Google (Organisator der weltweiten Informationen), Skype (Abbau von Kommunikationshindernissen), Zipcar (für ein einfaches, verantwortungsvolles Leben in der Stadt), River Simple (Bau und Betrieb von unabhängig funktionierenden Autos, um die Umweltschäden durch private Verkehrsmittel systematisch zu beseitigen), Better Place (globale Bereitstellung von Elektrofahrzeugen und Netzdienstleistungen), Naked Pizza (für eine bessere Gesundheit der Amerikaner), Kickstarter (grösste Spendenplattform für kreative Projekte in der Welt), Etsy (hilft Menschen, von ihren Produkten zu leben, bringt Hersteller und Käufer zusammen) und Zopa (eine intelligentere, fairere, menschlichere Art der Geldverwaltung, bei der Kreditgeber und Kreditnehmer bessere Zinsen bekommen). Diese Marken fordern alte Unternehmen, die auf reiner Transaktion basieren, heraus und lassen sie hinter sich. Sie geben den Menschen mit ihren Dienstleistungen etwas Nützliches, Sinnvolles und gesellschaftlich Relevantes und bieten nicht nur reinen Konsum.

 

GESCHÄF TSMODELLE, KREATIVE HILFSMIT TEL UND FOKUS

Dieses neue Geschäftsmodell basiert nicht auf der typischen Freiheit des unternehmerischen Handelns, wie wir sie früher kannten. Es handelt sich weder um die hedonistische Werbewelt der Sechzigerjahre noch um die der selbstbezogenen Firmenbosse der Achtziger- und Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Weit entfernt sind wir auch vom Bild der Aufopferung und Einschränkung, wie es einst von Umweltschützern gezeichnet wurde. Die Freiheit dieser Marken ist üppig und kreativ. Aber sie ist nicht unbegrenzt. Umfassende Werte und Modelle helfen diesen Unternehmen, ihre Grenzen und Beschränkungen zu erkennen und Geld zu verdienen. Echte Freiheit für Unternehmen hängt heute von solchen Hilfsmitteln und Modellen ab, damit man Menschen für gemeinsame Ziele motivieren und ein gegenseitiges Verständnis schaffen kann. Dank kreativer Hilfsmittel können Marken auch verstehen, dass ihre Zweckbestimmung Antrieb für alle ihre Massnahmen sein sollte und sie eine ganzheitliche Sicht des Geschäfts haben müssen.

 

Durch ein tieferes und integriertes Verständnis des Geschäfts und seiner Auswirkung können Marken die beabsichtigten und nicht beabsichtigten Konsequenzen ihrer Produkte und Dienstleistungen verstehen – und entsprechend zielgerichtet handeln.

 

Bethany Koby ist Designerin, Art Director und Künstlerin. Sie gestaltet Marken und Unternehmen mit dem Ziel, sich eine positive und stärker gemeinschaftlich ausgerichtete Zukunft vorstellen zu können. Die gebürtige Amerikanerin lebt in London und arbeitet als Design Director in der internationalen Markenagentur Wolff Olins. Daneben engagiert sie sich für partizipative Organisationsmodelle, die Kunstinstitutionen, Gemeinschaften und Unternehmen verbinden. Bei Wolff Olins trägt sie aktiv zu markengeführten Innovationsprojekten bei, welche die Kategorien des Geschäfts auf neuartige und relevantere Art und Weise definieren. Bethany Koby hat an der Rhode Island School of Design Kommunikationsdesign und Kunstgeschichte studiert und an der Bath University einen Master of Science in Responsibility and Business Practice erworben.

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