Das Internet versorgt uns mit personalisierten Suchresultaten. Das ist praktisch. Nur kommen wir dadurch kaum noch mit Informationen in Kontakt, die unsere Weltsicht in Frage stellen. Als Folge zerfällt die Gesellschaft in immer kleinere Interessensgruppen. Doch genau diese versprechen neue Formen der Solidarität.
Die Art und Weise, wie wir im Internet Informationen finden, ist immer stärker vom Prinzip der Ähnlichkeit geprägt. Algorithmen analysieren unser Onlineverhalten und präsentieren darauf abgestimmte Inhalte. Google etwa personalisiert Suchresultate basierend auf früheren Suchanfragen, Links, die wir angeklickt haben, und unserer geografischen Lage. Die Suchresultate sind somit nicht .objektiv., sondern individuell auf den jeweiligen Nutzer zugeschnitten. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert Facebook: Im Feed des sozialen Netzwerks werden jeweils nur Nachrichten von Personen angezeigt, mit denen wir regelmässig interagieren. Alle anderen Posts werden automatisch aussortiert. Personalisierte Filteralgorithmen erzeugen so eine digitale Echokammer, die bereits bestehende Meinungen und Interessen bestärkt und davon abweichende Informationen ausblendet. Der Internet-Aktivist und Autor Eli Pariser kreierte für dieses Phänomen die Bezeichnung .Filter Bubble.. Pariser warnt in seinem gleichnamigen Buch davor, dass die Filter Bubble uns von neuen Ideen, Kontakten und Informationen ausschliesst und so unsere Weltsicht verengt. Dies wirkt sich negativ auf die Gesellschaft aus, da ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs erschwert wird und die Bürger anfälliger werden für Propaganda und Manipulation. In einer Welt, die nur aus Bekanntem besteht, gibt es nichts Neues mehr zu lernen. Stattdessen werden wir laufend mit unseren eigenen Ideen indoktriniert.
Gibt man beispielsweise den Suchbegriff .Barack Obama. in Google ein, werden in den meisten Fällen seine Webseite, Wikipedia-Einträge und Ähnliches angezeigt. Manche Nutzer erhalten aber möglicherweise Seiten vom rechten Rand des politischen Spektrums, in denen fälschlicherweise behauptet wird, Barack Obama sei kein Amerikaner und damit unrechtmässig Präsident – weil Google erkennt, dass sich diese Menschen für solche Verschwörungstheorien interessieren. Personalisierte Filtermechanismen fördern so die Aufsplittung der Gesellschaft in homogene Nischengruppen, die jeweils in ihrer eigenen Informationsblase gefangen sind.
Filter Bubble in der physischen Welt
Die Tendenz hin zur gesellschaftlichen Homogenisierung ist nicht nur auf das Internet beschränkt, sondern spiegelt sich in der physischen Welt. In einer Studie der Universität Wisconsin wurde über Jahrzehnte beobachtet, wie wachsende Auswahlmöglichkeiten eine Gesellschaft verändern. Das Resultat: Wenn Gesellschaften reicher werden und sich die Lebensstile ausdifferenzieren, beginnen die Menschen mit einem Sortierprozess. Ihr aktiv gepflegtes soziales Umfeld wird immer homogener, je grösser die Auswahl an unter- schiedlichen Freunden ist. Je heterogener ihre Umgebung also wird, desto mehr Zeit verbringen sie mit Menschen, die ihnen ähnlich sind – und gleichen sich diesen dadurch immer noch mehr an, da Fremdeinflüsse minimiert werden. In Städten etwa äussert sich dies durch die Gentrifizierung von Quartieren, deren Bewohner sich in ihre jeweiligen Lifestylegemeinschaften einkapseln.
Wir erleben somit zwei gegenläufige Bewegungen: Zum einen entsteht im Zuge der Individualisierung eine grössere kulturelle Heterogenität. Zum anderen streben immer mehr Menschen ein Leben an, in dem sie sich von anderen Lebensentwürfen abschotten können. Die Gesellschaft erfährt so sowohl in der realen als auch in der digitalen Welt eine Fragmentierung in soziale Subsysteme, die immer weniger miteinander zu tun haben.
Diese Tendenz könnte in Zukunft noch weiter vorangetrieben werden – durch ortsbasierte Dienste fürs Handy, die zurzeit entwickelt werden. Diese erweitern das Internet in die physische Welt, indem sie digitale Informationen mit geografischen Orten verbinden. Ortsbasierte Social-Networking- Apps wie Highlight, Glancee oder Sonar etwa versprechen eine sogenannte People Discovery: Die Apps überwachen über GPS die Position des Nutzers und zeigen automatisch andere Nutzer in der Umgebung an, mit denen Gemeinsamkeiten bestehen. Dabei kann es sich etwa um ähnliche Hobbys, berufliche Tätigkeiten oder den Umstand handeln, dass man an der gleichen Uni studiert hat.
Vorstellbar ist sogar, dass in Zukunft ortsbasierte Informationen mittels Augmented-Reality-Brillen direkt in unser Blickfeld eingeblendet werden. Google hat bereits einen ersten Prototyp für ein solches Gerät vorgestellt. Die digitale Brille namens Google Glass soll voraussichtlich 2014 in den Handel kommen. Damit wird es theoretisch möglich, die Wahrnehmung zu personalisieren: Je nachdem, welche Interessen und Bedürfnisse wir haben, werden andere Informationen über die Umwelt sichtbar. Solche ortsbasierten Such- und Filterfunktionen übertragen die Logik der Filter Bubble auf die physische Welt und fördern die Homogenisierung von sozialen Kontakten.
Neue Formen der digitalen Solidarität
Führt die fortschreitende Digitalisierung also unweigerlich zu einer Zersplitterung der Gesellschaft in ein Mosaik aus isolierten Parallelwelten? Oder können neue Kommunikationstechnologien auch den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken? Sicherlich bietet das Internet vielfältige Möglichkeiten, sich gegenseitig zu unterstützen. Ein Beispiel dafür liefern die sogenannten Facebook-Revolutionen in Ägypten, Libyen oder Tunesien, bei denen die Bürger für politische und soziale Reformen sowie mehr Bürgerrechte und Freiheiten kämpften. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Vernetzung über Social-Media- Kanäle für Aktivisten auch Risiken mit sich bringt. Denn die Onlineaktivitäten machen es für Regimes leichter, Bürgerrechtsbewegungen zu überwachen und gezielt gegen Aktivisten vorzugehen.
Auch in kleinerem Massstab kann das Internet genutzt werden, um sich solidarisch zu engagieren. Im Rahmen der sogenannten Sharing Economy entstanden in den letzten Jahren zahlreiche neue Onlineplattformen, auf denen Nutzer Produkte oder Dienstleistungen teilen und sich gegenseitig bei Projekten unterstützen. Auf der Plattform NeighborGoods beispielsweise bieten Nutzer kostenlos kleine Gefälligkeiten an oder teilen Haushaltsgeräte mit ihren Nachbarn. Solche Formen der Nachbarschaftshilfe können dazu beitragen, der sozialen Vereinzelung in Grossstädten entgegenzuwirken und den Zusammenhalt in der Gemeinschaft zu stärken.
Für die Realisierung von Projekten existieren sogenannte Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter oder Wemakeit. Menschen mit Ideen können dort eigene Projekte vorstellen und in der Community Geld für deren Realisierung sammeln. Ähnliche Konzepte existieren auch im Kontext von Entwicklungshilfe. Die Plattform Kiva beispielsweise ist darauf spezialisiert, Kleinunternehmer in Entwicklungsländern mit Mikrokrediten zu unterstützen. Menschen auf der ganzen Welt können dort mit kleinen Beträgen anderen Menschen in Armut helfen, eine Existenzgrundlage aufzubauen.
Sogenannte Crowdsourcing-Plattformen funktionieren nach dem Prinzip der Schwarmintelligenz, sprich der Weisheit der Masse: In Arbeitsteilung sammeln Freiwillige Informationen zu bestimmten Themen oder arbeiten gemeinsam an Projekten. Beispiele hierfür sind das Onlinelexikon Wikipedia oder die Gesundheitsplattform Patients- LikeMe. Letztere ermöglicht es Menschen, die an seltenen Krankheiten leiden, sich auszutauschen und Therapieverfahren und -erfolge zu vergleichen.
Die Frage stellt sich allerdings, ob Internetplattformen effektiv genug sind, um Solidarität in der Gesellschaft sicherzustellen. Denn es besteht die Gefahr, dass Solidarität im Internet nur noch unter Gleichgesinnten stattfindet: Solidargemeinschaften gruppieren sich meist um Nischenthemen und sind damit anfällig für Filter-Bubble-Effekte. Solidarität im Internet kann somit paradoxerweise die gesellschaftliche Fragmentierung fördern.
Ein anderes Problem besteht darin, dass auch bei Solidargemeinschaften das Prinzip der Popularität gilt: Themen oder Anliegen, die nur wenige Menschen betreffen und die sich nicht gut im Internet vermarkten lassen, können nur mit geringer Unterstützung rechnen. Andererseits wirkt eine grosse Popularität wie ein Magnet, der noch mehr Unterstützer anzieht. Dies kann zu einer Dynamik führen, bei der gewisse Ideen eine überproportionale Dominanz entfalten – was sowohl positive als auch negative Konsequenzen haben kann.
Es ist deshalb davon auszugehen, dass allein durch die Selbstorganisation der Bürger über das Internet keine gesamtgesellschaftliche oder sogar globale Solidarität garantiert werden kann. Genau darin besteht angesichts der wachsenden Arm-Reich-Schere und der zunehmenden Kluft zwischen Alt und Jung jedoch die grosse Herausforderung im 21. Jahrhundert: immer ungleichere Menschen in einer funktionierenden Gesellschaft zusammenzuhalten. Auch in Zukunft sind deshalb weiterhin Instanzen nötig – der Staat etwa oder NGOs –, die unabhängig von gesellschaftlichen Partikularinteressen für Solidarität einstehen. Als zusätzliche Massnahme könnten neue Algorithmen geschaffen werden, die gezielt auch Resultate anzeigen, die nicht unseren – vermeintlichen – Präferenzen entsprechen. Oder eine Art Mehrfachoption, bei der wir einen bestimmten Filter anwählen können. So würde sichergestellt, dass wir immer wieder mit dem .Anderen. in Kontakt kommen. Oder uns zumindest bewusst bleibt, dass wir die Welt durch einen Filter wahrnehmen. Das Bewusstsein wäre so ein erster Filter für Filter Bubbles.
Max Celko ist Trendforscher, Digitalberater und Autor in New York und Berlin. Er beobachtet neue Entwicklungen in Medien, Kommunikation, Technologie und Gesellschaft mit den Ziel, diese für Markenstrategien nutzbar zu machen. Er veröffentlicht regelmässig Artikel in Fachpublikationen und berät Agenturen und Unternehmen zu Trend- und Digitalthemen.